Die Sprache der Symbole ist die Sprache der Seele.
Werk "Notblüte Liebe"
Die Notblüte, ein phänomenologischer Begriff aus der Biologie, erfüllt ihre Aufgabe, wenn der Fortbestand der Art über die Not hinaus erhalten wird. Die Kunst-Notblüte erfüllt ihre Aufgabe, wenn der einzelne Mensch die Impulse, die vom Kunstding ausgehen, erkennt und selbsttätig in sich forschend aufgreift. Das hier vorgestellte Werk "Notblüte Liebe" als Metapher der Not-Blüte in der Natur, weist hin auf unser aller Menschen Not durch Liebe-Mangel, Liebe-Verlust, Liebe-Unfähigkeit ja Liebe-Unkenntnis. Unter diesem Gesichtspunkt können, ja müssen wir das diesen Hinweis gebende Kunstwerk als eine Art Not-Blüte ansehen – als eindringlichen Appell! Wie der stumme Schrei des notleidenden Baumes, ruft hier ein Kunstding. Dieses steht jedoch nicht elend und fahl und Mitleid erregend vor uns – es lässt im Gegenteil durch seine bildhafte Symbolsprache eine starke, auch vitale Präsenz spüren. |
Dieses Bedürfnis nach Berührung von aufgeladenen oder heiligen Gegenständen deutet auf eine Sehnsucht des Menschen nach Erlösung oder nach einer Verbindung zu etwas Höherem hin. Wir haben also eine Ahnung davon, dass uns etwas Wesentliches verlorengegangen ist. Aus meiner Sicht können genau hier gehaltvolle Kunstwerke wertvolle Hilfsmittel und Impulsgeber sein, der Spur dieser Sehnsucht Nahrung zu geben und ihr zu folgen. Würden wir uns eingestehen, dass wir auf dem Weg der Menschwerdung steckengeblieben sind; würden wir ein Innehalten zulassen und eine neue Lebensausrichtung durch eine ehrliche Selbsterforschung ernsthaft und aufrichtig suchen, dann könnten Kunstwerke wie dieses, wirksame Geräte sein – wie Geländer an denen wir uns tastend entlang bewegen. Unser Menschen Ist-Zustand ist der, dass wir aus Liebe-Unkenntnis unsere Erde, uns selbst und die Menschen sich gegenseitig verwüsten. Wie kann da ein Kunstding Hilfe schaffen? Als Rufer – als Mahner – als Not-Blüte – als symbolisches Bild, das zum (wissenden) Wesen durchdringt und fühlbar wird. Wenn wir uns zu einer neuen, vertikalen, inneren Ausrichtung bekennen, erheben wir unseren Blick und nehmen das vitale Blütenpaar wahr: ganz oben am nun schlanken Stamm: da ist ein ICH und ein DU – eine Frau und ein Mann: ein lebendiges WIR.
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Liebeslied
Wie soll ich meine Seele halten, daß
sie nicht an deine rührt? Wie soll ich sie
hinheben über dich zu andern Dingen?
Ach gerne möcht ich sie bei irgendwas
Verlorenem im Dunkel unterbringen
an einer fremden stillen Stelle, die
nicht weiterschwingt, wenn deine Tiefen schwingen.
Doch alles, was uns anrührt, dich und mich,
nimmt uns zusammen wie ein Bogenstrich,
der aus zwei Saiten eine Stimme zieht.
Auf welches Instrument sind wir gespannt?
Und welcher Geiger hat uns in der Hand?
O süßes Lied.
R. M. Rilke, 1907
Gelingt es dem Menschen in dieser kleinsten familiären Gemeinschaft und aus ihr heraus in seinem weiteren Lebensumfeld, sich zu seiner ganzen menschlichen Größe – wie er gemeint ist und wofür er das Potential in sich trägt, in stetiger, aufmerksamer Arbeit hin zu entwickeln, antwortet das Leben mit Veränderung in allen Bereichen. Sind wir bereit für Veränderungen? Oder lassen wir es darauf ankommen, dass das Leben uns durch Schicksalsschläge zwingt?
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An diesem Punkt angekommen, richten wir unsere Aufmerksamkeit auf die Mitte der Skulptur. Hier sehen wir eine lanzettförmige, schmale, krapprote Vertiefung, die spitzbogig hinauf weist zum Brennpunkt dieser Darstellung. Ist dieser Spalt eine Wunde, ein Mal, ein Hinweis, ein Schrein, ein Eingang – oder sehen wir durch ein aufgetanes Tor ins eigene Innen, direkt in das Mark des Lebens? Wenn wir ihn als Wunde ansehen: wurde sie schicksalhaft zugefügt durch Leid, körperliche Gebrechen, Unfall, Verlust? In einem Vers sagt Rilke: "das Erz hat Heimweh…" und möchte es wieder im Geäder tiefer Erdschichten zur Ruhe kommen lassen, anstatt es in ruhelose Maschinen und in tödliche Waffen zu gießen. Im Bild des offenen Tores zum eigenen Innen können wir vielleicht demselben Heimweh begegnen: einer Sehnsucht nach heimatlicher Herkunft: woher komme ich? Allein diese unbeantwortbare Frage kann uns einen tiefen Schmerz bereiten. Doch die mittige Wunde repräsentiert all unsere Lebens-Wunden – physische und seelische. Die Wunde-Darstellung hier ist keine Anklage, kein Vorwurf. Ich denke an das Wort Jesu, das er nach der Auferstehung zu einem zweifelnden Jünger sagte: "Lege deine Hand in meine Seite", und ihn damit einlud IHN zu erkennen – und somit sich selbst. In diesem Sinne können wir die ästhetische Gestaltung des Wundensymbols als Möglichkeit ansehen uns selbst zu erkennen in der Dimension des Geistigen. In Mythen, Sagen und Märchen gibt es viele Beispiele für die Wunde-Symbolik. Als Beispiel skizziere ich die Wunde des König Amfortas aus der Parzivalsage des Wolfram von Eschenbach. Amfortas hat der Ordnung zuwidergehandelt, als er als junger Gralskönig an einem Ritterturnier teilnahm. Er wurde von der Lanze seines Gegners in der Leiste verletzt – im Genitalbereich. Diese schwärende Wunde konnte nicht heilen. Was ist geschehen? Amfortas reflektiert sein Verhalten nicht, sondern erträgt sein Siechtum still. Sein untätiges, abwartendes Still-aus-Halten stürzt sein ganzes Umfeld in einen Bann: alle Lebendigkeit, Lebensfreude und Vitalität versiegt. Er erstarrt in seinem Leid. In der Geschichte wird das mit der Äußerung er konnte nicht leben und nicht sterben zum Ausdruck gebracht. Diese "Amfortashaltung" einzunehmen liegt uns Menschen als erster Ausweg aus einem Dilemma zumeist sehr nah – wir leiden lieber (still, jammernd oder anklagend) anstatt verantwortungsvoll und tätig werdend das eigene verhängnisvolle Handeln zu untersuchen. |
Das Gemeine (Holz) erhält einen hohen Sinn.
Das Bekannte (Baum) erlangt die Würde des Unbekannten.
Betrachten wir nun die vorgestellte Arbeit in ihrer ganzen Gestalt im Nebeneinander von entrindetem Linden-Baum-Rohling und fertigem Kunstwerk, werden obige Zeilen aus einem Aphorismus von Novalis (Friedr. v. Hardenberg) sinnlich wahrnehmbar und fühlbar und geben dem Endlichen einen unendlichen Schein. Novalis nennt diese Umgestaltung einen poetischen Akt, der die ursprüngliche Totalität der Welt als ihren eigentlichen Sinn im Kunstwerk ahnbar und mitteilbar macht. In dieser inneren Ausrichtung arbeite ich auf mein künstlerisches Werk zu und im Sinne Gorch Fock´s auf mein Leben. |
Du siehst, ich will viel.
Vielleicht will ich Alles:
das Dunkel jedes unendlichen Falles
und jedes Steigens lichtzitterndes Spiel.Es leben so viele und wollen nichts,
und sind durch ihres leichten Gerichts
glatte Gefühle gefürstet.Aber du freust dich jedes Gesichts,
das dient und dürstet.Du freust dich Aller, die dich gebrauchen
wie ein Gerät.Noch bist du nicht kalt, und es ist nicht zu spät,
in deine werdenden Tiefen zu tauchen,
wo sich das Leben ruhig verrät
R. M. Rilke, 1899